Alumni — Was wurde aus …?

29.10.2018

KEVIN KREMER

VOR EIN PAAR WOCHEN KONTAKTIERTE MICH SYBILLE MIT DER BITTE, EINEN ARTIKEL ZUR RUBRIK »WAS WURDE EIGENTLICH AUS?« FÜR DEN STEHSATZ (https://www.stehsatz.com/) ZU SCHREIBEN. SELBSTVERSTÄNDLICH SAGTE ICH SOFORT ZU UND NUN SITZE ICH HIER IN MEINER NEUEN WAHLHEIMAT LONDON UND MUSS ERST MAL STUTZEN: WAS WURDE EIGENTLICH AUS MIR?

Diese Frage trägt mich unweigerlich erst einmal zurück an die MD.H. Nur zu gerne denke ich zurück an diese Zeit: voller Herausforderungen, spannender Projekte, viel Ehrgeiz und ein fantastisches Vierergespann: Miri, Nati, Lautschi und ich, buchstäblich bei jedem Projekt ein wahres »Dreamteam«.

Nach meinem Abschluss geht es jedoch erst einmal alleine weiter: Der Master steht ins Haus.

Nun ist es so, dass ich mir dieses Vorhaben – naiver Weise – ein wenig einfacher vorgestellt hatte. Den richtigen Master zu finden und schlussendlich auch einen Platz zu bekommen ist nichts für schwache Nerven. Viele Bewerbungen, viele Fragen, viele Portfolios, viele Vorstellungsgespräche, und viel Bammel vor dem Ergebnis später stehe ich nun kurz vor der Abgabe meiner Masterarbeit am Royal College of Art in London. Ich hatte das Glück einer der viel umworbenen Plätze im Grafikdesign-Programm zu ergattern und stelle nun fest: Grafikdesign war bislang der geringste Teil meines Pensums hier an der RCA. Meine Gedanken drehen sich nunmehr seit fast einem Jahr nicht wirklich um die perfekte Typografie, den tollsten Raumaufbau und die spannendste Gestaltung. Vielmehr jedoch stelle ich fest, dass sich meine Haltung gegenüber dem, was ich mit meiner Arbeit erreichen möchte, stark verändert hat.

Nach meinem Abschluss an der MD.H war ich der festen Überzeugung, dass ich nichts lieber tun möchte, als mich dem Branding zu widmen. Spannende Markenauftritte mit Persönlichkeit zu entwickeln war mein absoluter Berufswunsch. Umso mehr war ich überrascht, dass hier in London deutlich anderes von mir gefordert wurde. So kommt es, dass sich die ersten drei von insgesamt sechs Trimestern als deutlich intro­vertierte, reflektierte Zeit entpuppten. Vieler meiner Kommilitonen – von buchstäblich jedem Winkel der Erde – geht es ähnlich. Die meisten von uns dachten, dass es in dem Programm darum geht, der bessere Grafikdesigner – im praktischen Sinn – zu werden. Falsch ge­dacht. Jeder, der hier studiert, hat die Grundlagen verstanden, kennt sich aus mit Mirko- und Makrotypografie. Beherrscht einen guten Raumaufbau und ist gut informiert über den gestalterischen Zeitgeist. Nun, was mache ich eigentlich hier?

Um ganz ehrlich zu sein, hat es eine Weile gedauert, um mich am College einzugewöhnen. Bei meinem Bewerbungsgespräch hatte ich noch mit Händen und Füßen versucht zu erklären, dass ich das Gefühl habe, dass es eine höhere Stufe des Verständnisses von Grafikdesign gibt, die aus irgendeinem Grund für mich nicht erreichbar zu sein schien. Mit treuen Augen versuchte ich meinem Gegenüber zu erklären, dass es eben diese tiefere Auffassung meiner Arbeit war, die ich von nun an erforschen wollte, um meine Arbeit nicht nur grafisch reizvoll, sondern auch gesellschaftlich bedeutsam zu machen. Wie ich das machen wollte: keine Ahnung.

Zu Beginn des Programms also erst einmal zurück zur Blaupause. Was war es, das mich und meine Arbeit bislang ausgemacht haben? Wo war der rote Faden? Wieder und wieder verzweifelte ich bei dem Versuch Sinn aus meinem bisherigen Portfolio zu machen, bis ich endlich eine Antwort gefunden hatte. Es war meine Rolle als Gestalter in jedem einzelnen Team-Projekt. Egal um was es ging, ich war stets für die Gestaltung verantwortlich. Zudem bestand mein Portfolio zu guten 90% aus Gruppenarbeiten. Jedoch hatte ich das immer als gegeben aufgefasst und nie als persönliche Stärke oder Schwäche. Bis dato hat es einfach mehr Spaß gemacht, zusammen ein Projekt zu bestreiten, als alleine daran zu verzweifeln. Heutzutage hört man in jedem TED Talk, in jedem berufsorientierten Podcast und jedem »Silicon Valley Buch«, dass man seine Komfortzone verlassen muss. Immer und immer wieder. Pragmatisch wie ich bin, beschloss ich genau das zu meinem Mantra zu machen. Der Plan: Nicht der Designer zu sein und Kollaboration als Methode zu verstehen und zu ergründen. Genau das ist es, worum sich meine bisherigen Projekte während meines Masters drehen. Stets versuche ich eine neue Rolle in Teamprojekten zu bestreiten. Oft macht mich das zum Teamleader, zum Event-Planer oder zum Kurator. Jede neue Aufgabe ist mir erst einmal unbekannt, spannend und furchteinflößend gleichermaßen. Jedoch stelle ich nun, nach einigen abgeschlossenen Projekten, fest, dass eben diese Herausforderungen peut-à-peut dazu beitragen, meine Rolle als Designer nur zu definieren.

Unweigerlich steht dies in direkter Verbindung zu meiner Tätigkeit als Gründer und erstem Vorsitzenden des wohltätigen Vereins »Good Friends e.V.«. Der Verein hat sich der Flüchtlingshilfe verschrieben und initiiert seit nunmehr über einem Jahr Projekte, die wohltätige Arbeit bewerben und Spendengelder zur Integration von wundervollen Menschen aus aller Welt sammeln. Unsere Werte beruhen allesamt auf Empathie und Leidenschaft. Auch hier: Ohne wahrhaftige Kollaboration wäre nichts von alledem möglich.

Meine Reise durch die Welt des Grafikdesign hat mich geographisch bislang an viele Orte geführt. Buchstäblich nach New York und Brüssel als Praktikant und nun als Student nach London. Virtuell, durch meine Tätigkeit als selbstständiger Grafikdesigner, nach Singapur, Los Angeles und zurück nach New York. Ich denke, die Frage, was eigentlich aus mir wurde, kann ich nicht beantworten. Was jedoch klar ist: Meine Reise – im buchstäblichen und übertragenen Sinn – ist noch lange nicht vorbei und ich bin überzeugt davon: The best is yet to come.

Kevin Kremer, Juni 2018

Das Projekt »The Catalogue« stellte es zur Aufgabe, die Umgebung der Hochschule zu erkunden und zu dokumentieren. Ich beschloss – aus geschichtlichem Anlass – mich auf einen Marathon zu begeben und zeichnete auf insgesamt 42.195 Metern durch die Nachbarschaft alles auf, was ich nur konnte: von Herzfrequenz, Anzahl der Schritte, gesammelten Objekten, interessanten Begegnungen und vielem mehr.

PODIUM ist das Ergebnis des Wahlfachs »Collaborate or Die!«. Das Magazin beschäftigt sich mit der Frage »Was wäre wenn dieses Magazin die letzte Chance zur freien Meinungsäußerung wäre?«. Wir haben über 100Designer, Fotografen, Illustratoren, Journalisten, Aktivisten und Künstler die Chance gegeben, jeweils eine Seite des Magazins frei nach Wunsch zur theoretisch letzten freien Meinungsäußerung zu nutzen. Das Ergebnis sind 36 individuelle Antworten auf dieselbe Frage, die spannende Erkenntnisse und eine grafisch reizvolle Momentaufnahme der kreativen Gemeinschaft darstellen. Kollaborationen sind unter anderem mit Sascha Lobe, Mirko Borsche, Kenneth Goldsmith und Elizabeth Ellis entstanden.

»Book Test Unit« verschreibt sich jedes Jahr, die Zukunft des Buches in unterschiedlichem Kontext zu untersuchen und kritisch zu hinterfragen. Dieses Jahr stand es zur Aufgabe, Nachhaltigkeit zu prüfen und aus der Sicht des Designs zu betrachten. Ist es zu einem austauschbaren Schlagwort geworden? Muss ein neues Wort gefunden werden? Das Ergebnis der Zusammenarbeit entstand zu­sammen mit Eye-Magazine, Thomas.Matthews Studio und Pentagram Design. Untersucht wurden unterschiedliche Wege der Distribution von Wissen und es entstand eine Art Anleitung zum nachhaltigen Umgang mit Information in Buchform.